Haushaltsrede 2018/2019: „Dieses Leben bietet so viel mehr“

22.02.2018

I. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“,

sagt der Volksmund. Die Romanfigur Harry Potter hat es auf Gleis 9 ¾ des Londoner Bahnhofs King´s Cross erwischt, mich fand das Schicksal im Oktober 2005 im Rathaus, Raum A.201: Die CDU Fraktion wählte mich zu ihrem Vorsitzenden. Denn Christoph Gerbersmann wurde Stadtkämmerer. Heute, mehr als 12 Jahre später, werde ich als einfaches Fraktionsmitglied den Haushaltsplanentwurf 2018/2019 desselben Kämmerers mitberaten, noch ein letztes Mal kommentieren und am Ende mit verabschieden.

Ich hielt die Zeit für gekommen, die Jüngeren in unseren Reihen zu fördern und zu fordern. Mit Jörg Klepper, Thomas Walter, Melanie Purps, Stefan Ciupka und Corinna Niemann sitzen nun fünf aussichtsreiche und kreative Köpfe im neuen Vorstand. Begleitet von den „alten Hasen“ Dr. Stephan Ramrath und Willi Strüwer werden sie jeden Tag mehr Verantwortung übernehmen. Der Zeitpunkt für den Wechsel ist ideal: Seit 2017 haben wir einen ausgeglichenen Haushalt, ohne Bilanztricks und konzerninterne  Tafelsilber-Verkäufe. Darauf lässt sich aufbauen.

II. „Dieser Weg wird kein leichter sein ...

Dieser Weg wird steinig und schwer Nicht mit vielen wirst du dir einig sein“ Diese Zeilen von Xavier Naidoo verdichten im Rückblick meine Erfahrungen der letzten zwölf Jahren mit den städtischen Finanzen. Einige Ereignisse sind sehr prägend für mich gewesen:

Schwapp – das Bäderkonzept!

Kurz nach meiner Wahl näherte sich bei den Hagener Bädern das jährliche Defizit der Sechs-Millionen-Euro-Grenze. Wir mussten handeln! Es entstand das Hagener Bäderkonzept, das bis heute zuverlässig den Zuschuss auf 4,5 Millionen Euro begrenzt. Im Mittelpunkt steht das Westfalenbad, das sich nach drei Jahren Bauzeit und 30 Millionen Investitionen seit 2010 zum Besuchermagnet entwickelt hat. Welch ein Erfolg! Neben den seinerzeit frisch sanierten Freibädern gab es in Hohenlimburg noch das Lennebad. Hagenbad wollte es schließen. Nicht so die Hohenlimburger – allen voran Willi Strüwer. Bitte fragen Sie nicht, wie viele Nerven uns das damals gekostet hat ... Ich habe meine Lektion dadurch gelernt!

Swap statt Schwapp!

Hat das Bäderkonzept gezeigt, wie man mit „Schwapp“ erfolgreich sparen kann, zeigte uns eine Bank, wie man mit „Swaps“, also „Zinsverbesserungsprodukten“, Geld verbrennen kann. Hinter geschliffenem Banker-Deutsch verbarg sich eine heimtückisch organisierte Zinswette. Das Ende war bitter: Zum Schluss ließ sich 2009 der Schaden mit Hilfe von Profis auf 42 Millionen Euro begrenzen. Der nicht zu beziffernde Glaubwürdigkeitsverlust von Verwaltung und Politik wog mindestens genauso schwer.

Schwupp!

Wen wundert es, dass die Kommunalaufsicht kritisch auf Hagen blickte und im Jahr 2008 den Politikwissenschaftler Professor Stefan Bajohr als "Mentor" schickte. Schwupp, schien die kommunale Eigenständigkeit ein Stück zu entschwinden. Der „Mentor“ war zwar noch freiwillig hier. Aber es drohte der „Sparkommissar“. Als sich der Professor am Ende mit Springbrunnen beschäftigte, die nur noch nach Münzeinwurf Wasser speien sollten, war die Ära „Mentor“ vorbei. Es blieben zwei Sparpakete, deren Maßnahmen zu großen Teilen vom Rat beschlossen und der Verwaltung umgesetzt wurden.

Flop: Der Tiefpunkt.

Es folgte kurz nach Ende der Wahlperiode 2009 der „absolute Tiefpunkt“, wie ich damals bilanzierte. Weder der Mentor noch der vorherige SPD-Oberbürgermeister oder der Rat konnten das rasant wachsende Defizit bremsen. Der „Verwaltungs-Dispo“ lag bei 946,4 Millionen Euro; der Haushaltsplanentwurf 2010 setzte weitere 160 Millionen Euro obendrauf. Furchteinflößend war das!

Neue Ära mit OB Jörg Dehm

Mit Oberbürgermeister Jörg Dehm übernahm im Oktober 2009 ein Kapitän mit spitzer Kompassnadel das Kommando. Er duldete weder Ausflüchte noch Abweichungen. Zielerreichung war das Zauberwort. Selbst der Rat tat sich schwer damit, dass plötzlich einer gestalten und nicht nur verwalten wollte. Jörg Dehm führte 2012 nicht nur den Doppelhaushalt ein; er führte die als Solistinnen agierenden städtischen Töchter unter einer gesamtstädtischen Choreographie zusammen, gelenkt über die neue Beteiligungskommission des Rates. Wenig später, im Doppelhaushalt 2014/2015, zahlte sich das bereits aus: Auf manch bittere Sparmaßnahme konnte verzichtet werden, weil städtische Beteiligungen einsprangen.

Stärkungspakt Stadtfinanzen

Das Landesgesetz half ab 2012 bei der Wende zum Besseren!  Als verpflichtendes Mitglied mussten wir das Angebot – zunächst 40, später 36 Millionen Euro Landeshilfe – annehmen. Der damit einhergehende Druck auf unsere Sparbemühungen bewirkte wahre Wunder.

Er „hat nämlich einen neuen Geist unter den Fraktionen im Rat hervorgebracht. Statt Verweigerung und Versteckspielen stand das gemeinsame Ziel im Vordergrund, das HSP 2014/2015 ordentlich, ohne Taschenspielertricks oder Luftnummern sofort genehmigungsfähig aufzustellen.“

Wir haben es damals geschafft, „weil alle auf unterschiedliche Weise zum Erfolg beigetragen haben.“ Es gibt also einen Weg, für das große Ganze einen konstruktiven Beitrag zu leisten und dabei sein individuelles Profil zu schärfen. Es war exakt das, was die Wähler von uns erwarten: Zusammenstehen, wenn es um die Stadt geht? Leider blieb es bei dieser rühmlichen Ausnahme.

Doppelhaushalt 2016/2017

Schon den Doppelhaushalt 2016/2017 bekämpfte die SPD wieder heftig. Erst trug sie die Verschiebung des Haushaltsausgleichs mit, dann versuchte sie den Haushalt über die Landesregierung zu Fall zu bringen. Schade!

Minimaler Konsens gesucht

Es gibt Kommunen, mit einem Minimalkonsens unter allen Demokraten: Der Streit in der Sache wird mit aller inhaltlicher Härte ausgetragen. Doch wo es um die Existenz der Stadt geht, hört jeder Spaß auf! Genau diesen Konsens wünsche ich mir endlich auch in Hagen! Denn vergessen wir bei aller Euphorie bitte nicht: Hagen liegt noch immer auf der Intensivstation. Die schlimmsten Zeiten an der Herz-Lungen-Stärkungspakt-Maschine sind vorüber. Aber über den Berg sind wir noch nicht. Wir müssen weiter mit Vernunft und Augenmaß sanieren und dürfen nicht nachlassen!

III. Haushaltsplanentwurf 2018/2019

Der vor uns liegende Haushalt 2018/2019 weist zum zweiten Mal ein  „winzigstes“ Plus aus: für 2018 in Höhe von knapp 1,2 Millionen Euro, in 2019 um 800.000 Euro. Bei Aufwendungen und Erträgen von knapp einer dreiviertel Milliarde Euro ist das kein Überschuss, es ist eine Punktlandung, wie der Kämmerer betont. Punktlandung - das ist die Landung einer Fliege auf einer Nadelspitze! Da bleibt weder Platz für Fehler noch für zusätzliche Ausgaben! Dank Stärkungspakt und reichlich Fördermitteln von Bund und Land müssen wir uns dabei nicht „kaputtsparen“. Es ist also kein Zeichen von Phantasielosigkeit oder Vasallentreue, wenn wir zu diesem Haushaltsplanentwurf keine Änderungsanträge einreichen.

Weihnachtswunschliste

Anders die SPD: Sie hat schon im November 2017 ihre Weihnachtswunschliste vorgelegt. Tenor: Mehr – mehr – mehr, und am besten sofort! Der ÖPNV-Antrag, isteine wunderbar formulierte Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen. Fast alles unspezifisch, manches sogar inhaltlich falsch! Peinlich! Weitere 600 Kinder unterzubringen braucht unzweifelhaftmehr Kindertagesstätten. Klar! Aber die Fördermittel-Schwemme hat inzwischen Planungs- und Handwerksleistungen so dramatisch verknappt, dass wir sie nicht schneller einrichten können. Das weiß die SPD. Trotzdem beantragen sie das Gegenteil. Das einzige Ziel: Mit ungedeckten Mehrausgaben den Haushalt sprengen. Ich will ausdrücklich betonen: Vieles steht auch auf unserer Wunschliste. Man hätte einen Konsens finden können. Aber so nicht! Was die SPD in mehreren Wellen vorgelegt hat, ist billiger Populismus, mehr nicht! Insbesondere die letzten Anträge zum HFA von gestern waren eine Zumutung!

Hagen braucht etwas Anderes: mehr Verantwortung und mehr Ehrlichkeit! Wir beschränken uns aus diesem Grund auf das Machbare. Wir wollen nicht wieder mit unbezahlbarer „Zukunftsmusik“ in die Verschuldung zu schliddern.

Haushaltsbeschluss

Nach diesen Vorworten ist es keine Überraschung, wenn ich jetzt für die CDU-Fraktion verkünde: Wir werden diesem Haushalt geschlossen zustimmen, ohne jede Änderung! Ich will aber nicht verschweigen, dass mir noch zwei wichtige Zukunftsthemen für den nächsten Haushalt 2020/2021 auf den Nägeln brennen:

Besserer Nahverkehr

Mit dem Allianz-Antrag zur Neufassung des Nahverkehrsplans vom Januar haben wir eine sinnvolle zeitliche Abfolge von Datenerhebung, Analysen und Entscheidungen festgelegt. Wir brauchen wirksame Maßnahmen und realistische Kostenschätzungen. Bis zum nächsten Jahr werden die Vorplanungen konkretisiert und bis zur Haushaltsaufstellung 2020/2021 die finanziellen Mehrbedarfe zum Fahrplanwechsel 2020 beziffert. Das ist ein sauberer Fahrplan mit erkennbaren Stationen. So bereiten wir politische Beschlüsse vor – Punkt. Zum Fahrplanwechsel 2020 werden die Menschen die Verbesserungen spüren – Ausrufezeichen! Das ist kommunalpolitisches Einmaleins!

Digitale Agenda

Bald entscheiden wir, in welche Schulen wir Hunderttauende Euro für Breitbandanschlüsse, WLAN-Router oder Whiteboards investieren. Ich freue mich darüber! Und in der Verwaltung? Da sieht es trübe aus! Schon in meiner Haushaltsrede von 2007 trieb ich an:

„Die wichtigsten Geschäftsgänge müssen auf ihre Effizienz überprüft und modernisiert werden. Lange Bearbeitungszeiten sind ärgerlich für den Bürger und kosten die Stadt bares Geld. Das Virtuelle Rathaus muss schnell und kostengünstig Verwaltungsleistungen anzubieten!“

Seither ist, egal mit welchem Oberbürgermeister, wenig passiert. Hier SAP und elektronische Bauakte, dort ein paar Selbstverbuchungsterminals in der Stadtbücherei: Mir geht das alles viel zu langsam! Mir ist das alles viel zu wenig! Ich will im Haushalt 2020/2021 mehr davon sehen! Viel mehr! Weil Hagen mehr kann, der Speyer-Preis von 2006 beweist es!

IV. Die Rehabilitation

Soll das schon alles gewesen sein? Nein, denn die Behandlung des Patienten Hagen ist auch mit dem Haushalt 2018/2019 nicht abgeschlossen. Für die bevorstehende Entschuldung brauchen wir weitere Rezepte.

Stärkungspakt-2-Dragee

Viele haben es bereits vergessen: Der Stärkungspakt geht auf ein Gutachten der Professoren Junkernheinrich und Lenk zurück. Leider realisierte die rot-grüne Landesregierung nur eine halbe Hälfte des Ziels 1. Der Nullzins-Politik der EZB, den Konjunkturpaketen und der boomenden Wirtschaft sei Dank haben uns die seit 2012 gezahlten Mittel zum Haushaltsausgleich gebracht. Nun muss die Altschuldenhilfe in Gang kommen – oder ein Altschuldenfonds oder, oder … Wie das Kind heißen soll, ist unwichtig. Wichtig ist, dass wir einen spürbaren Teil der Altschulden abgeben können, um bei vielleicht steigenden Zinsen nicht erneut „abzusaufen“! Diese Therapie der beiden Professoren müssen wir schnell beginnen!

Die Konnexitäts-Pille

Eine weitere Hilfe findet sich im Bericht der Zukunftskommission aus dem Jahr 2009. Dieser und ein Bericht aus 2017 zeigen, dass Bund und Land noch immer für über 30 Millionen Euro mehr Leistungen in Hagen beauftragen als sie durchfinanzieren. Wir müssen massiv darum werben, diese Aufgaben angemessen erstattet zu bekommen – oder die Standards für dafür auf das Bezahl-Niveau zu senken, bis Bund und Land so „quietschen“, wie von Frau Nahles unvergleichlich beschrieben.

Derart korrekt ausgestattet, könnten wir unsere Verschuldung weiter vermindern.

  • Derart korrekt ausgestattet, könnten wir strategisch in die Zukunft unserer Stadt investieren statt mehr zu konsumieren!
  • Derart korrekt ausgestattet, könnten wir die Gewerbesteuerlast für die Hagener Unternehmen senken – und so wieder attraktiver für neue Arbeitsplätze und neue Einwohner werden.

Der Lohn all dieser Bemühungen wäre eine Aufwärtsspirale! Das alleine wäre es doch wert, dafür mit aller Kraft zu kämpfen.

V. Aufhören, wenn es am schönsten ist

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufhören, so der Volksmund, soll man, wenn es am schönsten ist. Für mich fühlt sich heute alles genau richtig an, der Anlass, der Ort – und meine letzte „Amtshandlung“.

Ich sage Danke: „meiner“ Fraktion, allen im Rat, der Verwaltung und der Bürgerschaft!

Sie haben Erstaunliches möglich gemacht, mal freiwillig, mal gezwungener Maßen. Sie haben viel ertragen – das Theater, die Sportvereine und 90 % der Hagener Lehrer. Ohne Sie hätten wir das wichtige Zwischenziel des Haushaltsausgleichs nie erreicht. Darauf dürfen Sie wirklich stolz sein!

Bald wird eine neue Generation neue Ziele definieren, befreit von Hütten- und Zwieback-Traumata. Sie wird die Segel setzen und zu neuen Ufern aufbrechen, ohne alte Fehler zu wiederholen. Möge Phoenix, der kraftvoll der Asche entsteigt, Euer Leitmotiv sein! Denn trotz – oder gerade wegen der Mühen sage ich – wie Xavier Naidoo: „Dieses Leben bietet so viel mehr“

Vielen Dank für alles!